Endlich verstehen, was biologische Vielfalt für unser Leben bedeutet
Die beiden Wissenschaftlerinnen Frauke Fischer (Biologin) und Hilke Oberhansberg, (Wirtschaft) haben einen weiten Bogen gespannt, um uns Leser:innen die Bedeutung der biologischen Vielfalt aufzuzeigen und den Begriff der Biodiversität lebendig werden zu lassen.
Gehören Sie auch zu den Menschen, die beim Lesen des Titels spontan antworten: Nichts. Dann geht es Ihnen wie mir, und natürlich war ich gespannt darauf zu lesen, welche Antwort(en) die Autorinnen geben können.
Die beiden Wissenschaftlerinnen Frauke Fischer (Biologin) und Hilke Oberhansberg, (Wirtschaft) haben einen weiten Bogen gespannt, um uns Leser:innen die Bedeutung der biologischen Vielfalt aufzuzeigen und den Begriff der Biodiversität lebendig werden zu lassen. Wir lernen, daß letztlich alles mit allem zusammenhängt, und es uns nicht egal sein kann, wenn „in Brasilien eine Art verschwindet, von deren Existenz wir bis dahin gar nichts gewusst haben“. Ökosysteme sind nicht austauschbar, und im Netzwerk Natur spielt jeder Organismus eine wichtige Rolle. Ohne Insekten kein Obst, ohne Mikroorganismen kein Humus (ergo kein gesunder Boden), ohne den Dreiklang der Biodiversität keine Vielfalt des Lebens (Artenvielfalt, genetische Vielfalt, Vielfalt der Ökosysteme).
Der Wissenschaftsjournalist und Terra X-Moderator Dirk Steffens formuliert es in seinem Vorwort so:
„Das 6. Artensterben ist das größte Menschheitsproblem unserer Zeit, weil sein Fortschreiten – anders als die Klimakrise – nicht nur darüber entscheidet, WIE wir in Zukunft überleben, sondern OB wir überhaupt überleben…. Deshalb freue ich mich über dieses Buch, das eingängig, gut verständlich und unterhaltsam darstellt, wie unsere diversen Lebensbereiche und damit unser aller Wohlergehen vom diversen Leben um uns herum abhängen“.
In beeindruckender Weise nehmen uns die Autorinnen mit auf eine Reise durch „unser Leben im World Wide Web of Life“, erklären den „Dreiklang der Biodiversität, um daraus die Zusammenhänge zwischen Biodiversität und Gesundheit, Sicherheit, Energieversorgung, Technik, modernem Lebensstil etc. aufzuzeigen.
Wissen Sie eigentlich was Ökosysteme für uns Menschen leisten? „Ein Team des australischen Umweltökonomen Robert Costanza hat 2014 die weltweiten jährlichen Leistungen von Ökosystemen für das Wohlergehen von Menschen auf über 125 Bill. US-Dollar beziffert (bezogen auf 2011)“. Im Vergleich dazu: Das weltweite Bruttoinlandsprodukt, also die Wirtschaftsleistungen von uns Menschen lag laut Weltbank 2011 bei etwas mehr als der Hälfte (73 Bill. US-Dollar). In ihrer Selbstlosigkeit schenkt uns die Natur diese Leistung und wir schaffen es nicht, ihr zumindest Dankbarkeit zurück zu geben.
Übrigens: Deutschland gilt aufgrund seiner geografischen Lage als ein „eher artenarmes Land“. Der Verlust der Artenvielfalt wirkt sich möglicherweise unmittelbarer auf unsere Mitwelt aus als in artenreicheren Zonen. Andererseits finden sich in sogenannten „Hotspots der Biodiversität“ – in den weltweit 34 Hotspots gibt es teilweise weit mehr als 50% des weltweiten Artenreichtums – Bedrohungen durch Eingriffe des Menschen, die auf das weltweite Ökosystem Auswirkungen haben.
Das Buch öffnet uns die Augen über den Istzustand der Erde, unseren Lebensraum. Die Autorinnen beschönigen nichts. Sie zeigen uns schonungslos auf, wie groß die Gefahr ist, in der die Menschheit sich derzeit befindet, wenn sie z.B. fragen: „Wie geht‘s uns denn heute“? und in ihren Antworten die „direkten und indirekten Treiber des Wandels“ auflisten.
Veränderung der Lebensräume, Übernutzung natürlicher Ressourcen, Verschmutzung durch Dünge- und Pflanzenschutzmittel der industriellen Landwirtschaft, invasive Arten die heimische Arten verdrängen und letztlich die Folgen der Klimakrise. Durch ihr hohes Maß an Resilienz, halten Ökosysteme einiges aus, lernen wir und fühlen uns kurzzeitig beruhigt. „Die Natur schafft das schon“, denkt der Optimist, während der Realist erkennt, dass es nur ein kurzer Schritt hin zum „Tipping Point“ ist, der Moment wo „genau die eine Art zu viel ausstirbt“ und damit eine „dramatische Kaskade des Ökosystemkollapses“ eingeleitet wird.
Ich könnte Ihnen viele weitere lehr- und faktenreiche Informationen zitieren, das würde aber den Platzrahmen sprengen. Deutlich wird, dass die Autorinnen viel Wissen zusammengetragen haben und es schaffen, auch wissenschaftlichen Laien wie mir, plausible Zusammenhänge darzulegen, verständlich zu machen, warum es wichtig für uns Menschen ist, umdenken zu lernen und uns als Teil der Lösung, und nicht als Teil des Problems zu begreifen. Dabei sparen sie auch nicht mit Antworten. Sie zeigen positive Beispiele auf, mit denen Umkehreffekte erzielt werden können, geben uns Tipps und Ideen an die Hand, damit wir selbst, aber auch Wirtschaft und Politik aktiv werden, um das Ruder rumzureißen.
„Um wen geht es hier eigentlich?“ fragen Fischer und Oberhansberg gegen Ende ihres Buches und deuten an, wo eines der Dilemmata in der Diskussion über Biodiversität, Natur- und Klimaschutz liegt. „Die Frage was Biodiversität für uns leistet, ist aus einer anthropozentrischen Perspektive gestellt, aus einer Sichtweise also, die den Menschen ins Zentrum stellt. Demgegenüber kann man eine physiozentrische Perspektive einnehmen, die jeder Lebensform eine Daseinsberechtigung zuspricht und alle als gleich schützenswert ansieht“.
Und in diesem Zitat findet sich letztlich auch die Antwort auf die Frage, die sich im Buchtitel offenbart. „Was hat die Mücke…“ ist keine leichte Kost, aber lehrreich, wissensstark und sollte Pflichtlektüre im Biologie-, Ethik-, und Sachkundeunterricht an unseren Schulen sein. Mindestens aber in das Bücherregal von Natur- und Klimaschützern gehören.
Achim Wagner, Mai 2023
Infos zum Buch:
WAS HAT DIE MÜCKE JE FÜR UNS GETAN?
Autorinnen: Frauke Fischer/Hilke Oberhansberg
Oekom-Verlag – erschienen 2020 (4.Auflage 2021) – 224 Seiten – 24,00 € Softcover
ISBN: 978-3-96238-209-4
Erhältlich in der Bibliothek Oberstdorf, im örtlichen Buchhandel sowie im sozialen und CO2-freien Buchhandel Buch7.
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