Buchempfehlung: NACHRUF AUF DIE ARKTIS

Die Journalistin und Expeditionsleiterin Birgit Lutz hat ein beeindruckendes, aber auch bedrückendes Buch über die Entwicklung in der Arktis und die Folgen, die sich daraus für die Erde und das Leben auf ihr ergeben, geschrieben.

Seit mehr als 15 Jahren unternimmt sie Reisen und Expeditionen in die Arktis, hat auf Skiern Grönland durchquert und angeregt durch ihre Beobachtungen ein Plastikmüllprojekt zum Schutz der Region entwickelt. Ihr Buch beschreibt sie auf dem Klappentext selbst so:

„In diesem Buch nehme ich Euch mit auf eine Reise nach Spitzbergen, eine der schönsten und spannendsten Regionen dieser Erde. Ich zeige Euch, wie sich diese Inseln durch den Klimawandel verändert haben, aber auch, dass wir immer noch handeln können. Es ist noch nicht zu spät!“

Birgit Lutz verspricht nicht zu viel. Atmosphärisch dicht lässt sie uns teilhaben an der Schönheit der Landschaft, untermauert ihre Beschreibungen mit beeindruckenden Landschaftsfotos und weckt im Leser das Gefühl, selbst mit auf dem Boot oder an Land zu sein. Wir entdecken die Schönheit von Weißwalen, beobachten eine Eisbärmutter mit ihren Jungen und erahnen, welcher (Überlebens)Kampf ihnen noch bevorsteht, wenn die Gletscher und das Meereis immer mehr verschwinden, und damit auch die Futterquellen sich verändern.

Vor Jahren hat die Autorin in Kooperation mit dem Alfred-Wegener-Institut ein Plastikmüllprojekt gestartet, um wissenschaftlich errechnen zu lassen, was es bedeutet, wenn die „zivilisierte“ Gesellschaft ihren Wohlstandsabfall bis in entlegenste, unbewohnte Gebiete entsorgt. Sie sammelt an den Küsten von Spitzbergen Plastikanlandungen aus dem Meer, angefangen von Fischernetzen bis hin zu Nestle-Joghurtdeckeln. Bei den Beschreibungen wird schnell klar, dass es sich nur um oberflächliches Sammeln handeln kann, weil der Unrat immer tiefer in den Sand eindringt. Bedrückend wirken diese Wechsel von berauschend schönen Naturerlebnissen und erschreckend und bedrohlich Raum greifenden Naturzerstörungen.

Was das Buch auch so besonders macht, sind die Beschreibungen und Beobachtungen der Wissenschaftler, die Birgit Lutz interviewt hat. Alle, ob Klimafolgenforscher, Meeresbiologin, Polar- und Tiefseeforscherin, Meereisphysiker, Glaziologe bis hin zu Philosophen und Psychologen, sind sich einig, dass schnell etwas geschehen muss, der Mensch sofort seine Lebensweise ändern muss. In allen Bereichen, die in Spitzbergen wissenschaftlich erforscht werden, können die dramatischen Veränderungen wissenschaftlich belegt werden. Einigen Wissenschaftler kommen sogar die Tränen, wenn sie von ihren Beobachtungen berichten. Ihre Erkenntnissen werden zu wenig beachtet und zu führen zu langsam zu konsequenten, notwendigen politischen Entscheidungen und Verhaltensänderungen der Menschheit. Trotzdem eint diese Forscher der Mut, weiter zu machen, „Alarm zu schlagen“ und den Glauben an positiver Veränderung nicht zu verlieren.

Birgit Lutz gibt sich nicht zufrieden mit dem Berichten ihrer Erfahrungen, sie setzt ihr Wissen und ihre Kraft ein für die erforderliche Veränderung, u.a. in Form von Vorträgen, Interviews, Büchern wie diesem. Ihr fast 500 Seiten umfassendes Buch hilft die Dramatik zu begreifen, es hilft auch zu erkennen, dass es sich lohnt für den Erhalt der arktischen Vielfalt, ob Gletscherlandschaft, Tierleben oder andere Naturschönheiten den eigenen Lebensstil zu ändern und klimaschonender zu leben.

Knapp 30 Seiten Quellenangaben machen das gut recherchierte und sehr übersichtlich strukturierte Buch auch zu einem Handbuch mit Querverweisen zu wissenschaftlichen Texten, Studien, Büchern und Hintergrundinformationen.

Einzig der Untertitel „noch können wir die Welt retten“ irritiert mich. Geht es bei aller Dramatik und Problematik, die der Mensch durch seine Lebensweise geschaffen hat, am Ende doch eher darum, dass es heißen müsste „Noch können wir die Menschheit retten“, wie ich persönlich finde.

Enden will ich diese Buchbesprechung mit einem Zitat von Katharina van Bronswijk, einer Psychologin, die über das neue Phänomen der Klimaangst spricht.

„Als Therapeutin würde ich sagen, im Umgang mit der Klimaangst geht es darum, Gefühle zu regulieren, sodass man handlungsfähig ist…. als Grundeinstellung eine Zuversicht zu behalten, dass wir es schaffen können. Folglich sucht man also Handlungsoptionen, die es einem ermöglichen, Selbstwirksamkeitserfahrungen auf der individuellen, aber auch auf der politischen Ebene zu machen – das man also dazu beiträgt, eine Lösung für das Problem zu bekommen.“

Selbstwirksamkeit… welch schönes Wort, voller Hoffnung steckend und Mut machend.

Achim Wagner, Februar 2023

Infos zum Buch:

NACHRUF AUF DIE ARKTIS
Autor: Birgit Lutz
btb-Verlag – erschienen 2022 – 490 Seiten – 18,00 € Softcover
ISBN: 978-3-442-77194-3

Erhältlich im örtlichen Buchhandel sowie im sozialen und CO2-freien Buchhandel Buch7.

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